Flugunterricht am Storchennest

Es ist ein gutes Jahr für die schönen Vögel. Der Nachwuchs muss sich nun beeilen, die letzten Fertigkeiten erlernen, die nötig sind, um in wenigen Wochen die Reise nach Süden anzutreten.

NRZ-Bericht vom 08.07.2015 von Susanne Zimmermann

Unruhe ist in die Nester der Störche eingezogen: Fast tragen sie schon das Federkleid ihrer Eltern. Es ist die Zeit, in der Storchenkinder fliegen lernen. In Bislich an Kirchenwoy und Forellenstübchen ist der Storchennachwuchs jeden Moment so weit, in der Dingender Heide, Ringenberg oder Ginderich sind die Kleinen noch jünger, sagt Hans Glader von der Biologischen Station im Kreis Wesel. Wer sich ein wenig Zeit nimmt, kann vermutlich dieser Tage ein amüsantes Schauspiel genießen.

„Die Elterntiere stehen unter dem Nest mit Nahrung“, erklärt Glader die pädagogische Storchentaktik. „Das Prinzip: Kohldampf? Dann beweg Dich hier ‘runter!“ Eine erprobte Methode, Erfolg garantiert. „Die Jungvögel sind faul, aber der Hunger ist größer. “

Pädagogik

Geschafft. Doch: Bloß weil so ein Vogel jetzt fliegen kann, ist er noch längst kein fertiger Storch. Und die Zeit beginnt zu drängen, im Spätsommer müssen die Jungtiere fit für die Reise in den Süden sein. „Die Jungen staksen erstmal in der Wiese herum und tun so, als jagten sie. Sie ahmen nach, was die Alten machen“, erläutert Glader. Und die Eltern füttern weiter, bekommen aber genau den Tag mit, an dem ihre Storchenkinder verstanden haben, wie das funktioniert mit den Regenwürmern und den Fröschen. Genau in dem Moment schließt Hotel Mama resolut die Pforten.

Dann geht alles sehr schnell. „In der ersten Augusthälfte sammeln sich die Jungen diesen Jahres. Sie kommen von überall her und bilden Gruppen von 30 bis 60 Tieren“, erläutert Hans Glader. Eine Art tierischer Jugendgangs. „Gemeinsam ziehen sie dann in Richtung Süden los.“ Ihre Eltern lassen die flügge gewordenen Störche am Niederrhein zurück. „Die machen sich erst Ende August auf.“

So ist das, wenn alles normal ist. Aber normal funktioniert ja nicht immer. So bleiben die Paare an der Kirchenwoy und am Forellenstübchen in der Regel hier – das gibt ihnen einen Vorsprung beim Brüten. Ihr Nachwuchs folgt dennoch dem Wandertrieb.

Theorie und Praxis

Er muss sich dann im kommenden Jahr einen eigenen Brutplatz und Partner suchen. „Normalerweise sollte das im Umkreis von 30 bis 40 Kilometern sein“, erläutert Glader. Aber wie das so mit der Theorie ist: In der Dingdener Heide brütete in den vergangenen Jahren ein Paar, das in Baden-Württemberg beziehungsweise Hessen beringt worden ist. Nun ist das Weibchen weiter nach Haltern gezogen, der Storch zieht mit einer Niederländerin die diesjährige Brut auf.

Wer nicht die Zeit hat, die Nester in der freien Natur zu beobachten, kann sich zumindest im Minutentakt das Treiben im Nest an der Kirchenwoy in Bislich ansehen. Der Heimatverein hat eine Webcam installiert (http://www.bislich.de/content/storchencam). Das Bild gestern um 13.29 Uhr sah nach schlecht gelaunten Jungtieren aus: Vier Halbstarke warten ungeduldig darauf, dass die Eltern endlich Futter heranschaffen. Noch scheinen sie keinen Ehrgeiz an den Tag zu legen, ihren Lebensunterhalt selbst zu fangen. Dafür müssten sie ja das Nest verlassen.

Fazit: „Es war ein gutes Storchenjahr. Anders als 2014“, zieht Glader Bilanz. Noch ist es nicht vorbei.Jetzt müssen die jungen Bruchpiloten den Himmel erobern.

 

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