Ich bin Niederrhein (23) Von Michael Elsing
Heute also mal wieder ein Sprung zurück in die eigene Kindheit. Der niederrheinische Junge wächst in der Regel ja sehr behütet auf. Das mag womöglich mit der Tatsache zusammenhängen, dass er, genau wie sein weibliches Gegenstück, von einer Vielzahl von Onkeln und Tanten umgeben war. Als mir die Zusammenhänge noch nicht ganz so klar waren, habe ich immer gestaunt, wie viele Brüder und Schwestern meine Eltern hatten. Nachbarn, Bekannte und selbst mir bis dato völlig fremde Menschen - sie alle wurden mir als Onkel oder Tante verkauft oder stellten sich selbst als solche vor.
Dabei musste natürlich auch unsere eigenartige Sprache stets mit eingebunden werden. „Gib dem Onkel mal die Hand!”, zählt zu den Aufforderungen, die jedem niederrheinische Kind geläufig sein dürfte. Ich war da immer ein wenig uneinsichtig. Schließlich verfügten die vermeintlichen Onkel ja selbst über zwei gesunde Hände. Wieso sollte ich ihnen als auch noch meine geben?
Die lustigen Exemplare unter den Onkeln versuchten sich gegenüber den Kindern auch gerne mal mit Scherzen. Drohte dies dann vollkommen in die Hose zu gehen und das Kind war bereits den Tränen nahe, kam sogleich die Beschwichtigung. „Der Onkel hat doch nur Spaß gemacht.” Das eigentliche Problem an dieser Tsunami-Ausmaße annehmenden Flut von Onkeln und Tanten war jedoch, wie die Kinder diese „Verwandten” wieder loswerden sollten, wenn sie das wahre Verhältnis durchschaut hatten. Ich gebe zu, dass ich mich bei der einen oder anderen Person schon gefragt habe, wie lange ich sie noch mit Onkel oder Tante anreden muss.
Sehr nette Onkel und Tanten begegnen den niederrheinischen Kindern bis heute in der Lebensmittel-Branche. Die Scheibe Fleischwurst, der Lutscher oder das Plätzchen haben die vergangenen Jahrzehnte locker überdauert. Das gilt leider auch für die schreckliche Angewohnheit der Eltern, die ihre Kinder unmittelbar nach dem Erhalt der Leckerei erziehen wollen. „Wat sacht man denn?” oder, in der modernen Formulierung, „wie heißt das Zauberwort?” kommt da, wie aus der Pistole geschossen, bevor das Kind auch nur den Hauch einer Chance hat, sich zu bedanken. Viele Erwachsene glauben offensichtlich immer noch, dass derartige Maßregelungen in der Öffentlichkeit sich sofort ins Gedächtnis ihres Nachwuchses einbrennen und dieser künftig schon „Danke” ruft, bevor er überhaupt etwas bekommen hat.
Wenn sich jetzt ein Erwachsener durch meine Ausführungen tatsächlich auf den Schlips getreten fühlt, dann sei diesem gesagt, dass alles „nur für so dumm” war. Oder anders ausgedrückt: „Der Onkel hat doch nur Spaß gemacht.”
RP vom 11. Dezember 2009