Ich bin Niederrhein (27) von Michael Elsing
Nicht nur für den Niederrheiner ist die Luft existenziell. Ohne das Gasgemisch der Erdatmosphäre und den darin enthaltenen Sauerstoff , den wir so dringend für unsere Atmung benötigen, könnten wir nicht überleben. Doch der Niederrheiner wäre nicht der Niederrheiner, wenn er die Luft nicht hin und wieder für seine sprachlichen Eigenarten missbrauchen würde. Er ist halt ein „Luftikus”, der sich nicht damit begnügen kann, sie einfach nur ein- oder auszuatmen.
So geht der Niederrheiner nicht nur einfach an die „frische Luft”, er „schnappt” sie sich auch noch. Wer weiß schon, wie er das anstellt? Eventuell stellt er bei dieser Gelegenheit noch fest, dass „etwas in der Luft liegt”. Nur was da so herumliegt, kann er nicht genau beschreiben. Allerdings akzeptiert er auch nicht jede Luft, die ihm da vorgesetzt wird. In verqualmten Kneipen beispielsweise registriert er eine „Luft zum Schneiden” und hat er sich mit seinem Gegenüber gerade einmal überworfen, herrscht „dicke Luft” zwischen ihnen. Auch der niederrheinische Einbrecher ist sehr wählerisch. Er steigt grundsätzlich nur dann in ein fremdes Haus ein, wenn „die Luft rein ist”.
Variabel wird‘s, wenn „die Luft raus ist”. Das nahende Ende einer Beziehung könnte hier gemeint sein. Vielleicht auch ein Fußballspiel, in dem die Entscheidung längst gefallen ist. Oder einfach nur der Vorderreifen des Holland-Rades. Manchmal setzen wir die Luft sogar ein, um anderen Menschen zu demonstrieren, was wir von ihnen halten. Nicht selten sind diese für uns Luft, wir ignorieren sie schlichtweg. Angesichts der bitteren Notwendigkeit der Luft ein ziemlich blödsinniger Vergleich.
Was soll‘s, sagt sich der Niederrheiner und bezeichnet Aussagen, denen man nur wenig Glauben schenken sollte, als „aus der Luft gegriffen”. Doch trotz dieser sprachlichen Merkwürdigkeiten sollten Sie den Niederrheiner nicht reizen. Sonst „geht er in die Luft”. Dann „macht er seinem Ärger Luft”, fordert seinen Gegenüber dazu auf, „mal die Luft anzuhalten” und ehe Sie sich versehen, „setzt er Sie an die Luft”. Aber da der Niederrheiner ein Gemütsmensch ist, kann sich der Ärger auch schnell wieder „in Luft auflösen”. Es war dann wohl doch nur „nichts als heiße Luft”, die da verströmt wurde.
Richtig interessant wird es, wenn es dem Niederrheiner an dem Ort, an dem er sich gerade aufhält, plötzlich nicht mehr gefällt. Dann braucht er eine „Luftveränderung”. Es kann ja auch nicht schaden, die Luft mal an anderen Orten dieser Welt auszuprobieren. Und tatsächlich: mal ist sie dünn, mal ist sie dick, mal ist sie frisch, mal ist sie schlecht. Trotzdem bleibt sie immer nur die Luft. Aber man wird ja wohl hin und wieder ein paar „Luftschlösser” bauen dürfen.
RP vom 19. Februar 2010