Ich bin Niederrhein (6) Von Michael Elsing
Eine große Domäne niederrheinischer Sprachkultur ist der Umgang mit Kindern, den so genannten Blagen oder Pänz. Vor allem, wenn diese unserer Sprache noch nicht mächtig sind, versuchen wir ihnen so ziemlich alles als Sprache zu verkaufen. Beginnen wir mit den Neugeborenen, den Babys. Generationen von Erwachsenen haben da ihr „Kuckuc" in einen Kinderwagen gerufen und auf eine entsprechende Reaktion gehofft. Ich warte immer noch auf den Tag, an dem ein besonders begabtes Baby „Kuckuck” zurückruft.
Ein wenig von der Bildfläche verschwunden ist das „Taita gehen", was einen Spaziergang mit dem Kind beschreiben soll. Eigentlich sind die „Taita" ein Volk in Südost-Kenia. Wie diese Herrschaften nun in unsere Sprache gerutscht sind, kann ich mir wirklich nicht erklären. Ist das Kind dann müde, geht es in die „Heia". „Ab in die Heia!" wird wohl bis in alle Ewigkeit die von Kindern am meisten gehasste Aufforderung bleiben.
Unsere allseits bekannte Sprachfaulheit wird auch beim Umgang mit Kindern allzu deutlich. Vor besonders ekligen Dingen warnen wir unseren Nachwuchs nicht, in dem wir ihm sagen, dass der Gegenstand, den er sich da gerade in den Mund steckt, besonders eklig ist. Nein, wir sagen: „Das ist ba" oder „bäh". Auch der Begriff Schluckauf ist uns viel zu kompliziert. Stattdessen heißt es bei uns „Hick". Es gibt Erwachsene, die jeden „Hickser" von Kindern gebetsmühlenartig wiederholen. Macht das Kind „Hick", macht der Erwachsene auch „Hick" - und zwar immer und immer wieder. Ein wenig aggressiv macht mich die Unsitte, das Kind ständig in der dritten Person anzureden. „Ja, wat hat er denn?" „Ja, wat will er denn?" Iss er heute ein böses Kind?" Das erinnert mich immer ein wenig an die alten Sissy-Filme, in denen der Kaiser Franz seine Sissy auf diese Weise ansprach. Achten Sie bei der nächsten Wiederholung mal drauf.
Richtig unsinnig wird es dann aber, wenn wir ein Kind darum bitten, die Stimme eines ganz bestimmten Haustieres nachzuahmen. „Wie macht der Wau-Wau?" Ja, wie soll er denn wohl machen? Wahrscheinlich ja wohl Wau-Wau, oder?
Richtig gemein werden wir dann, wenn das Kind langsam älter wird. Dann heißen diese plötzlich immer häufiger „Frollein" oder „Männeken" und manchmal drohen wir sogar mit dem „Bullemann". Die Kinder dürfen dann nicht mehr „drömeln" und schon gar nicht „tergen”. Denn das „Gejanke" geht Erwachsenen ziemlich auf den Geist. Der absolute Ober-GAU ist es aber, wenn ein Erwachsener seine Fingerspitze mit Spucke befeuchtet, um einen angeblichen Fleck auf der Stirn des Kindes zu entfernen. Ganz ehrlich: bei dem Gedanken bekomme ich noch heute „Tüttefell".
Quelle: Rheinische Post vom 06.02.2009