Routenbericht Skaten am Niederrhein - Wesel, Bislich, Xanten und zurück
Zugegeben, als eingefleischter Großstädter kannte auch ich den Niederrhein bislang nur als das Ende der Welt. Als einen Landstrich fernab jeder Großstadt, wo sich Hase und Igel selbst heute noch regelmäßig eine gute Nacht wünschen. Mit anderen Worten: als eines der langweiligsten Gebiete in Nordrhein-Westfalen.
Aber ich lasse mich ja eines besseren belehren und nehme deshalb gerne die Einladung von Kerstin und Jörg an, zwei passionierten Skatern aus Wesel. "Kaum Autos, keinen Streß, einfach nur pures Dahinrollen", hat Jörg mir versprochen.
Wir treffen uns in Wesel, einer 60000-Einwohner-Stadt direkt am Rhein. Jörg verzichtet auf eine ausführliche Begrüßung, schnell ziehen wir unsere Skates an. Stilecht im Schatten der alten Rheinbrücke, deren Pfeiler aussehen wie die Überreste eines römischen Aquädukts. Ich bin beeindruckt.
"Auf geht's. Unsere Tour führt von Wesel nach Xanten und zurück", ruft Kerstin mir zu. "Alles in allem ungefähr 25 Kilometer." Kein Problem, denke ich und rolle den beiden hinterher. Gemütlich fahren wir auf einem Deich rheinabwärts in Richtung Bislich.
Schon stellt sich das erste Hochgefühl ein. Der Deich ist gut asphaltiert und bietet den Rollen nur geringen Widerstand. Dazu ist der Blick über die Rheinwiesen herrlich entspannend. "Vom Herbst bis zum Frühjahr sind diese Wiesen Zufluchtsort für zehntausende von Wildgänsen. Die Gänse flüchten aus dem kalten Sibirien, um hier zu überwintern. Ein toller Anblick", erklärt Jörg.
Langsam rollen wir dahin, ohne Hektik, einfach nur gleiten und durchatmen, den Alltag hinter sich lassen. Auch das monotone Tuckern der Rheinschiffe wirkt beruhigend. Links von uns liegt die "Grav-Insel", ein Naherholungsgebiet und Campingplatz für Hunderte von "Ruhris", wie Jörg die Einwohner aus Bottrop, Gelsenkirchen oder Essen despektierlich nennt. "Wir sind eben nicht die Einzigen, die wissen, wie schön es hier ist", betreibt Kerstin derweil fleißig Werbung für die Region.
Hinter der Grav-Insel verlassen wir den Deich und biegen ab auf einen Radweg; entlang der Bislicher Straße skaten wir durch ein kurzes, kühles Waldstück. "Kein Bange, der nächste Deich läßt hier nicht lange auf sich warten", beruhigt mich Kerstin, als ich anfange, den Rhein zu vermissen. Und tatsächlich, kurz darauf, es geht Richtung Bislich, kommt die Betonwurst wieder in Sicht.
Ungestört gleiten wir über die sanfte Pelle des Deiches, das Ergebnis des Autofahrverbotes. "Deshalb gehört der Deich uns, den Skatern und Bikern", lacht Jörg - und bremst. Denn plötzlich tuckert uns ein Bauer auf seinem Traktor entgegen. "Typischer Vorführeffekt, der kennt das Verbot wohl nicht", stöhnt Jörg. Natürlich machen wir dem sitzenden Kollegen bereitwillig Platz, bei solchen Rollen.
Bald müssen wir zum ersten Mal rüber über den "Old Man River", und wir tun das klassisch wie die alten Römer. Per Fähre. Der Kahn heißt "Keer Tröch II"; die Zufahrt bis dorthin ist übrigens ziemlich abschüssig, deshalb gilt es, mit leichtem Fuß auf der Bremse zu skaten. "Statt mit der Fähre könnte man auch über die Brücke bei Rees nach Xanten fahren, dann ist die Strecke aber um fast 30 Kilometer länger", berichtet Kerstin, während uns das kleine Boot gemütlich ans linksrheinische Ufer schaukelt. "Kein Bedarf", denke ich mir.
Xanten. Die Stadt ist der stichhaltige Beweis, daß die alten Römer vor 2000 Jahren noch keine Inline Skates kannten. Sonst hätten sie nämlich im kleinen Außenposten des Weltreiches nicht überall Kopfsteinpflaster verlegt. Heißt, der Weg durch Xanten ist etwas beschwerlich. Und verlangt Flexibilität; deshalb tapsen wir einfach kurzfristig auf Socken weiter, wenn gar nix mehr rollt.
Zur Entschädigung spendiert Jörg Eis, und ein paar Sätze über Xanten: Das Städtchen sei wirklich gemütlich, und Kulturgeschichte pur. Im archäologischen Park könne man für ein paar Mark Eintritt Xantens römische Geschichte erleben. Selbst ein Amphitheater gäbe es, nur dort würde eher die neuzeitliche Kultur gepflegt. Und regelmäßig Götter der Popmusik verehrt.
Wir verlassen die ehemalige Garnison "Colonia Ulpia Traiana", rollen das kurze Stück zurück zur Rheinfähre und biegen dann auf eine kleine Straße in Richtung Werrich ein. "Wir sind jetzt mitten im Hochwassergebiet", sagt Jörg. Hier könne man nicht regelmäßig herskaten und müsse deshalb zuweilen alternativ die sicherere Bundesstraße entlang fahren; das "ist zwar nicht so schön, aber dafür immer trocken." Glück für uns, daß Gevatter Rhein gerade Ebbe führt und wir uns den unspektakulären Umweg sparen können. Die weiten Wiesen, hohen Pappeln und kleinen Kopfweiden im naturgeschützten Überschwemmungsgebiet gefallen uns sowieso besser.
Am kleinen Dorf Perrich vorbei rollen wir jetzt wieder auf Wesel zu. Der sogenannte Willibrordi-Dom, das Wahrzeichen der Stadt, ist schon von weitem auf der anderen Rheinseite zu sehen. "Jetzt nur nicht schlapp machen. Wir sind gleich da", lacht Kerstin. Eigentlich schade, ich habe mich gerade an die streßfreie Zone Niederrhein gewöhnt.
Bis zur Rheinbrücke bei Wesel sind es noch gut anderthalb Kilometer, die steile Auffahrt auf die Brücke ist die letzte kleine Anstrengung auf einer wunderschönen Tour ohne Hindernisse. Gemütlich rollen wir nun zurück zur Rheinpromenade bis zum Biergarten am Freibad. "Welch ein Tag", scherzt Jörg, und wir beenden die Tour stilecht - mit einem Altbier vom Niederrhein...