Vor 50 Jahren: Bislicher Kegelclub erlebte deutschen WM-Sieg

Ein einzigartiger Kegelausflug: Zehn Männer aus Bislich fuhren 1974 nach München und sahen einen historischen Fußballsieg. „Sechser im Lotto“.

NRZ-Bericht vom 04.07.2024 von Svenja Aufderheide, Foto: FUNKE Foto Services | Erwin Pottgiesser

„Das ist nicht wiederholbar.“ Wilfried Rabeling, Heinz Oberkamp, Manfred Schmidt, Paul Tebrügge und Willi Giesen sind sich da vollkommen einig. Auch, wenn viele Fußballfans sich zurzeit nichts sehnlicher wünschen als einen Sieg der deutschen Mannschaft bei der Europameisterschaft und alle Daumen und Zehen für das Viertelfinale am Freitag um 18 Uhr in Stuttgart gedrückt sind, ist für die fünf älteren Herren vollkommen klar, dass ihre Erlebnisse bei der Weltmeisterschaft 1974 nicht zu toppen sind: „Das kann man nur einmal erleben.“

Weseler kampierten vor dem Bocholter Reisebüro für Eintrittskarten

Damals waren sie Mitglieder im Kegelclub „Einer steht immer“ aus Bislich und hatten sich in den Kopf gesetzt: Wir fahren zum Finale nach München. Zwei der Kegelbrüder hatten Bezugsscheine für Karten. Da müsste sich doch auch für den Rest der zehnköpfigen Truppe noch was machen lassen. Also kampierten fünf von ihnen 1973 in der Nacht vor Beginn des Kartenvorverkaufs vor dem Bocholter Reisebüro Drachter, um auf jeden Fall die begehrten Tickets zu bekommen.

Das waren sie damals in München 1974: Die Mitglieder des Kegelclubs „Einer steht immer“ Willi Bruns, Willi Giesen, Wilfried Rabeling, Heinz Overkamp, Hannes Wikker, Paul Tebrügge, Werner Rabeling, Manfred Schmidt, Gerd Nakath und Willi Amerkamp. © FUNKE Foto Services | Erwin Pottgiesser (Repro)

Zuvor hatten sie ein Budget ausgemacht und wollten eigentlich Sitzplatzkarten. Gab es aber nicht, also kauften sie die günstigeren Stehplatzkarten – und weil noch etwas Geld übrig war, nahmen sie direkt auch noch Eintrittskarten für das Spiel um Platz drei dazu. Der erfolgreiche Einkauf musste natürlich in einer Bislicher Kneipe ein wenig begossen werden. Blöd nur, dass ausgerechnet, als sie aus der Kneipe gingen, gerade der Leichenzug von Pastor Heinrich Kühnen vorbeikam. „Wir haben noch versucht, uns hinter der Telefonzelle zu verstecken“, erinnert sich einer der fünf, während die anderen ziemlich breit grinsen müssen. Denn so richtig funktioniert hat diese Versteck-Aktion nicht.

Weseler Kegler feierten kräftig mit den Holländern

Mit dem Zug ging es nach München: „Die Stimmung war super, auch mit den Holländern.“ Natürlich zog es die Bislicher Truppe auch vor dem Finale ins Hofbräuhaus, wo sie direkt herzlich von einem Kellner begrüßt wurden: „Ihr Saupreußen, hier vorne ist ein Platz für euch.“ Randale war damals Fehlanzeige. Alle hätten sie gemeinsam gefeiert, auch wenn den Bislichern sehr schnell aufgefallen war, dass man bei den großen Maß-Krügen aus Ton nicht sehen konnte, ob die auch wirklich voll mit Bier sind.

Nicht auf dem Schirm hatten die Bislicher Jungs, dass München auch schon damals „Schickeria-Hauptstadt“ war. Mit ihren gelben Regenjacken scheiterten sie immer wieder an den Türstehern der Discotheken in der bayrischen Landeshauptstadt. Also mussten die „Modesünden“ in Schließfächern am Hauptbahnhof geparkt werden, um die Tanzflächen zu erobern. Auch über ihre Pension in München sind die Bislicher bis heute voll des Lobes. Und erinnern sich an Begegnungen mit dem Präsidenten des FC Bayern München, Wilhelm Neudecker. Denn die Geschäftsstelle des Vereins war direkt neben der Pension.

Am 6. Juli 1974 sahen die Kegler den 1:0-Sieg der Polen gegen Brasilien, und dann kam der große Tag, 7. Juli 1947. Deutschland gegen die Niederlande. Schon Stunden vor Spielbeginn waren sie am Stadion, hätten für mehrere hundert Mark ihre Eintrittskarten verkaufen können. Taten sie aber nicht, sondern standen hinter dem Tor der Niederländer auf der Tribüne und fieberten mit der deutschen Mannschaft mit. Dass ausgerechnet die im Finale stehen würde, konnte ja bei der Planung der Tour keiner ahnen. „Das war wie ein Sechser im Lotto“, erinnert sich Manfred Schmidt und Wilfried Rabeling weiß noch ganz genau: „Ich war fix und fertig vor Anspannung.“

Die Tore haben sie live erlebt, mitgefiebert und am Ende kräftig gefeiert. Mit Grilltellern und Haxenhälften - beides für alle. Schließlich hatten sie vorher stundenlang nichts gegessen. Und am nächsten Tag haben sie sich alle das Spiel nochmal in aller Ruhe im Fernsehen angesehen. Auf der Tribüne entgeht einem ja die eine oder andere Situation. Und dann ging es am 9. Juli zurück mit dem Zug nach Wesel, vor sie von ihren Frauen herzlich empfangen wurden. Für die Bislicher Kegler eine unvergessliche Tour, die sie nun am 7. Juli nach 50 Jahren bei Paul Tebrügge im Wintergarten noch einmal aufleben lassen wollen. Und dabei bestimmt auch das eine oder andere Bier trinken, während sie in Erinnerungen schwelgen.

 

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