Inmitten der niederrheinischen Tiefebene zwischen Wesel und Rees, ganz nahe dem schützenden Deich, erhebt sich die Pfarrkirche "St. Johannes Baptistae" von Bislich.
Besonders schön ist der Anblick, wenn man sich ihr von Norden zu Fuß oder mit dem Fahrrad auf dem Deich nähert. Dann sehen wir links, umgeben von einem Kranz von alten Linden und Pappeln, den Turm der Bislicher Kirche, rechts (auf der linken Rheinseite) St.Viktor von Xanten und die bewaldete Höhe des Fürstenbergs und vor uns, zu beiden Seiten des Deichs, saftgrüne Weiden mit grasenden Rindern oder bei Hochwasser die gewaltigen Wassermassen, die sich gegen die Deichböschung wälzen.
Steht man dann vor dem Bauwerk, ist es, als ob die Steine zu reden begännen. Denn mancherlei Farben, Furchen und Material gibt es an der Oberfläche, und man erkennt, dass viele Generationen von Bislichern mitgewirkt haben ihre Kirche aufzubauen.In der Tat blickt die "Kerck an den Dick" auf ein ehrwürdiges Alter zurück. Schon 800 nach Chr., also in karolingischer Zeit, muss an gleicher Stelle eine Kirche gestanden haben, ein einfacher Langbau, dessen Fundamentreste man bei Renovierungsarbeiten im Jahre 1928 entdeckte. Die Kirche in ihren heutigen Ausmaßen (etwa 30 m Länge und 15 m Breite) wurde im 12. Jahrhundert als dreischiffige, romanische Pfeilerbasilika errichtet, mit einem mächtigen Turm, der heute noch als Zeuge dieser frühen Zeit steht. Sie war als Wehrkirche konzipiert mit dicken Mauern aus Tuffstein, der wie in vielen anderen mittelalterlichen Kirchen am Niederrhein aus den nutzlos gewordenen Römerbauten des nahen Xanten stammten.
Sie war mit Schießscharten versehen, die erst nach dem letzten Krieg vermauert wurden. Auch verfügte sie, wie auf der Abbildung von 1608 zu sehen ist, über einen Spicker (Speicher), der an der westlichen Turmseite aufgebaut war. Dieser Spicker diente in Kriegzeiten, wenn die Dorfbewohner ihre letzte Zuflucht hinter den starken Mauern ihrer Kirche suchten, als Vorratsraum für die notwendigen Lebensmittel. |
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In diesen frühen Jahrhunderten, deren Geschichte weitgehend in Dunkel gehüllt ist, musste die Bislicher Kirche eine besondere Bedeutung gehabt haben, denn man entdeckte bei der Renovierung von 1928, das die Mauer des nördlichen Seitenschiffs wesentlicher Teil eines frühchristlichen Kreuzgangs gewesen war, von dem Grundriss, Pfeiler und romanische Arkaden genau rekonstruierbar waren. Wahrscheinlich hat sich hier ein Stift befunden, dessen Mitglieder den Kreuzgang benutzten. Da die Pastorisierung von Bislich von Anfang an durch den Propst der Mutterkirche in Xanten erfolgte, mag es sich hier um Kanoniker dieser Kirche gehandelt haben. Diese Vermutung wird noch erhärtet durch das Vorhandensein eines Lettners im Altar (Lettner - von lat.: lectorium Lesepult, Kanzel - ist eine steinerne oder hölzerne Barriere, die anstelle der Chorschranke in vielen alten Kathedralen, Kloster- und Stiftskirchen den Altarraum vom restlichen Kirchenschiff abtrennt.), den der Prediger Dorth aus Wesel in einer Schrift von 1667 ausführlich beschreibt, wobei er besonders auf die Darstellung der beiden damaligen Patrone der Kirche Johannes des Täufers und Johannes des Evangelisten, auf den Altarflügeln, hinweist. Denn Lettner fand man in einfachen Pfarrkirchen am Niederrhein sonst gar nicht. |
Um die Mitte des 15 Jahrhundert wurde die Kirche, dem Zeitgeschmack folgend gotisiert. Die Seitenschiffe erhielten gotische Gewölbe, der Chor wurde ganz neu gestaltet und neue gotische Fenster wurden eingelassen. Gemäß der Symbolsprache des Mittelalters, die im Kirchenbau das Kreuz Christi und im Chorbau das Haupt Christi sah, erfuhr der Chor eine heute noch erkennbare Ausweitung nach links, die Neigung des Hauptes Christi symbolisierend. In einer lateinischen Inschrift auf einem verloren gegangenen Stein von der Südmauer des Turms wurde als Jahr der Vollendung 1471 und als Baumeister "Ernhard" angegeben.
Jahrhunderte lang ist das Schicksal der Kirche von dem früher oft seinen Lauf wechselnden Rhein bestimmt worden. So stieß man bei den Renovierungsarbeiten von 1928 auf schräg liegende Mauern, die zweifellos von der Macht der Fluten umgeworfen worden waren. Um 1300 hatte der Rhein sein Bett weit nach Westen verlagert. Danach war es nicht mehr möglich gewesen, die Kirche wie bisher durch den Deich zu schützen. |
Der neue Deich wurde dann so angelegt, wie es die Karte "Bislick Anno 1612" zeigt, d.h. zwischen der Kirche und dem Dorf, das auf jeden Fall Schutz vor den Fluten brauchte.
Und so war die Katastrophe gewissermaßen vorprogrammiert, als sich im Frühjahr 1688 bei Tauwetter an der Ronduit, einem nördlich der Kirche gelegenen Ortsteil, das Eis staute und einen so genannten Eiskarr bildete. Das zurückflutende Wasser fand eine Durchbruchstelle am Deich und wühlte unmittelbar an der Kirche ein riesiges Loch, in das die Küsterwohnung und das halbe Pastorat versanken. Auch die Kirche selbst wurde stark in Mitleidenschaft gezogen, wenn ihr auch das Schicksal der nahe gelegenen Kirchen von Haffen und Praest, die bei einem früheren Hochwasser ganz verschwanden, erspart blieb.
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Große Teile der Kirche mussten Niedergelegt werden, für den Wiederaufbau verwandte man statt der alten Tuffsteine, die wegen ihren beachtlichen Wertes nach Holland verkauft wurden, heimischen dunkelrote Ziegelsteine. Sie heben sich heute deutlich von dem noch verbliebenen Tuff ab. Der Spicker entstand nicht wieder. Von der Inneneinrichtung waren Letter, Wandepitaphe (Epitaphe sind Grabinschriften oder Denkmäler zum Gedenken an Verstorbene. Epitaphe werden seit dem 14. Jh. häufig nicht am Grab selbst, sondern z. B. an Wänden oder Säulen einer Kirche angebracht.) und die gotischen Fenster den Fluten zum Opfer gefallen. 1704 waren die Aufbauarbeiten so weit gediehen, dass das Kreuz mit dem vergoldeten Hahn auf dem Kirchturm errichtet werden konnte.
Um ein nochmaliges Unglück zu verhüten, wurde der Deich so gezogen (Karte Anno 1704), dass die Kirche wieder geschützt "binnendeichs" lag. |
Erst 1882, also zu einer Zeit, welche die Mittelalterliche Gotik auf neue Weise würdigte, erfolgte wieder eine umfassende Renovierung in der Amtszeit von Pastor Heinrich Baumann. Das baufällig gewordene romanische Tonnengewölbe des Mittelschiffs wurde durch ein gotisches Gewölbe und der seit 1822 benutzte barocke Hochaltar durch einen neugotischen Flügelaltar von Langenberg aus Goch ersetzt. Zugleich setzte man gotische Fenster ein. Statt des hölzernen Gewölbes im Chor wurde ein steinernes hochgezogen. Um das hochstrebende der Gotik noch stärker zu betonen, legte man den Fußboden bis zum Chor einige Stufen tiefer. 1928, in der Amtszeit von Pfarrer Augustinus Jansen, wurde für die vielfach von Mauerfraß befallene Kirche wieder eine Restaurierung notwendig. Man erneuerte verschiedene Pfeiler, und die Kirche erhielt ihre erste Heizung
Im 2.Weltkrieg war die Kirche bis zum Frühjahr 1945 verschont geblieben. Am 15 März 1945, unmittelbar vor dem Rheinübergang der Alliierten, wurde sie dann in wenigen Minuten zerstört.
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Gezieltes Artilleriefeuer legte die Kirche mit Ausnahme von Chor und südlichem Seitenschiff in Trümmern. Unter Leitung von Pfarrer Heinrich Kühnen gingen die Bislicher entschlossen an den Wiederaufbau. Der Gottesdienst fand in dieser Zeit in einer Notkirche, oft sogar unter freiem Himmel neben den Trümmern statt. Weihnachten 1949 feierte man die erste Messe in der neu erstandenen Kirche. Weihnachten 1950 ertönten zum ersten mal wieder die beiden großen Glocken: die zurückgekehrte Marienglocke und die unter der Patenschaft der St. Sebastianus Bruderschaft neu gegossene Katharinenglocke. 1951 erhielt die Kirche ein solides Schieferdach und 1954 eine neue Orgel von der Firma Breil aus Dorsten.
Die Neugestaltung des Inneren, wie wir es heute vor uns sehen, erfolgte zum großen Teil in der Amtszeit von Gerhard Dingermann.
Kirchlich gehörte Bislich als Filialkirche von Xanten zunächst zum Erzbistum Köln und seit 1821 durch eine Kabinettsorder des preußischen Königs zum Bistum Münster.
Der Besucher, der vom Dorf kommt, befindet sich vor der Kirche auf einem Lindenumsäumten Platz, dem ehemaligen Friedhof. Außen an der Nordmauer des Turms erinnert eine große Grabplatte an einige ehemaligen Bewohner des Raebenhofes in Vissel, die 1601 bzw. 1612 verstarben. Die Mauer des nördlichen Seitenschiffs weist noch Reste der früheren romanischen Arkaden auf.
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Am eindrucksvollsten ist hier der fast unversehrte große Tuffsteinbogen reinsten romanischen Stils mit Schiefersäulen und feinen Sandsteinkapitellen, der 1967 durch einen glücklichen Zufall entdeckt wurde, dessen Zweckbestimmung aber rätselhaft blieb. Fachleute des Landeskonservators haben nach dieser Entdeckung Grabungen vorgenommen und fanden im Kircheninneren, 20 und 40 cm unter dem gegenwärtigen Niveau Kleinplattierte Böden aus dem 13. und 14. Jahrhundert, Pfeilersockel aus romanischer und gotischer Zeit und sogar Gräberfelder. Betritt man die Kirche durch die neue, Kupferbeschlagene Tür im Turm, so wird man von einer feierlich, geheimnisvollen Stimmung erfasst. Diese Wirkung wird erreicht durch das hohe Gewölbe sowie das Dämmerlicht, das durch die matt verglaste, mit Maßwerk versehenem Fenster einfällt. Gleichzeitig lenkt die klare Gliederung des Raums den Blick zum Zentrum, zu dem schlichten, modernen Altartisch mit dem schweren Kreuz dahinter. |
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Bevor wir den Turm verlassen, betrachten wir an der Nordseite das Gemälde eines unbekannten Meisters aus dem 17. (?) Jahrhundert, die Anbetung der Hl. 3 Könige darstellend. Bemerkenswert sind auch die beiden alten Weihwasserbecken aus Sandstein, wovon das linke das Relief eines Christuskopfes zeigt. Im nördlichen Seitenschiff befindet sich dann der neugotische mit reichen Holzschnitzereien geschmückte Altar, der bis in die sechziger Jahre im Chor stand. |
Die an der Nordwand auf einem Holzbalken eingeschnitzte Inschrift zum Gedenken an die Gefallenen beider Weltkriege in Verbindung mit der monumentalen, ausdrucksvoll bewegten Statue des segnenden Gottvaters, die Weltkugel in der Hand haltend, soll uns ein Zeichen sein, dass alle, Lebenden und Toten, in Gottes Hand stehen. Die Statue hatte als Krönung des barocken Hochaltars gedient, der von 1822 bis 1882 in Gebrauch gewesen war. Danach war der Altar, in Teilen zerlegt, auf dem Söller der alten Schule (gegenüber dem Turm) in Vergessenheit geraten.
Hinter der Marienstatue (19. Jahrhundert) hat man die Zwischenwand zur alten Sakristei befestigt und eine Taufkapelle geschaffen. Darin ist der in seinen Formen so harmonisch wirkende gotische Taufstein aus dem 15. Jahrhundert wieder zu Ehren gekommen. |
Dort hat auch das geschnitzte Johannishaupt Platz gefunden, das nach der mündlichen Überlieferung das Kernstück des ersten gotischen Hochaltars von 1445 bildete. |
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Das Juwel der Kirche, das Sakramentshäuschen aus Kalkstein, befindet sich an der Nordwestseite des Chors. Auf dem Sockel ist die Auferstehung Christi dargestellt; der hochgotische Oberbau weist, entsprechend seiner Entstehungszeit von 1500 - 1525 eine starke Vertikalisierung auf. Die Bislicher sind stolz darauf, dass ihnen dieses Kleinod aus der frühen Baugeschichte ihres Gotteshauses erhalten geblieben ist. |
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